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Bewahren oder Verändern?

Warum sich Seniorenheime weiter entwickeln müssen und wohin die Reise geht.

„Eigentlich wünschen wir uns, dass alles besser wird. Nur verändern soll sich dadurch nichts!“ Dieser widersprüchliche Wunsch deutet an, dass wir alle einen Bewahrer in uns tragen.

Lassen Sie uns einen Gedankensprung machen und uns – unseren beruflichen Alltag betreffend – die Frage stellen: Was bewahren wir? Es sind die Abläufe, Strukturen, Zuteilungen, Zuständigkeiten, aber auch Sonderstellungen, Privilegien etc., an denen wir festhalten.

Bewahren von „Bewährtem“ gibt Sicherheit, schafft Vertrautheit und Orientierung. Bewahren macht Sinn. Allerdings nur, solange sich die Voraussetzungen, die zu diesen Abläufen, Strukturen, Zuteilungen und Zuständigkeiten geführt haben, nicht ändern. Geschieht dies, so kommt es zu Problemen: Altbewährte Strukturen beginnen zu wackeln. Arbeitsabläufe funktionieren zunehmend schlechter. Nahtstellenmanagement greift nicht mehr.

Wenn diese Probleme und der Druck, der dadurch entsteht, irgendwann groß genug sind, sehen wir uns gezwungen, unser Handeln zu hinterfragen und zu verändern. Allerdings hinken wir dann dem notwendigen Erneuerungsbedarf bereits hinten nach. Die bereits entstandenen Probleme brauchen nun viel Energie, um ausgeglichen zu werden. Die notwendigen Veränderungen ebenfalls.

Warum Veränderung?

Veränderung bedeutet in diesem Sinne „Anpassen“. An neue Gegebenheiten. In der Geschichte der Seniorenarbeit hat es bereits mehrmals so ein „Anpassen“ gegeben.

Die ersten Seniorenheime wurden nach dem Krieg aus der Notwendigkeit geschaffen, alleinstehende Menschen im Alter zu versorgen. In diesen Einrichtungen schliefen und lebten die Senioren in Mehrbettzimmern mit 16 Betten und mehr. Gespeist wurde in Speisesälen. Privatheit hatte hier kaum bis gar nicht Platz. Das Ziel war es, Funktionalität im Sinne von „Versorgen“ zu gewährleisten. Die Menschen, die hier untergebracht waren, wurden als „Insassen“ bezeichnet. Sie hatten ein Dach über dem Kopf, hatten zu Essen und einen Platz zum Schlafen.

Allerdings wurde recht schnell klar, dass diese Menschen spezielle altersspezifische Bedürfnisse und Erkrankungen hatten. Die Notwendigkeit der Pflege für diese Personengruppe wurde erkannt.

Als Folge geschahen hier nun die ersten gravierenden Veränderungen. Die „neuen“ Seniorenheime wurden ähnlich wie Krankenhäuser gebaut. Das erste „Pflegepersonal“ wirkte hier. Lange Gänge, mit links und rechts davon abzweigenden Patientenzimmern waren üblich. Alles war darauf ausgerichtet, dass gut gepflegt werden konnte.

Auch in diesen Einrichtungen kam man an seine Grenzen. Die in Seniorenheimen gepflegten Menschen im Alter wollten nicht mehr in Schlafsälen untergebracht werden. Sie wollten ein Stück Privatheit, Individualität und ein Stück ihres eigenen Lebens in ihren Lebensabend mitnehmen.

Dies führte zur dritten Generation der Seniorenheime: Die BewohnerInnen wohnten in Zweibettzimmern, später dann in Einzelzimmern. Sie hatten die Möglichkeit, sich mit eignen Möbeln und Bildern ein kleines Stück „Zuhause“ zu gestalten. Manchmal wurde auch mithilfe von Biografiearbeit auf die Gewohnheiten der BewohnerInnen Rücksicht genommen. Damit rückten sie ein weiteres Stück ins Zentrum unseres Denkens und Handelns.

 

…und jetzt?

In den vergangenen 15 Jahren passierten viele weitere Veränderungen, die Einfluss auf unsere Arbeit nahmen und noch immer nehmen.

Der Anteil an an Demenz erkrankten Menschen in den Seniorenheimen stieg im Durchschnitt bis heute auf etwa 75% an. Für die Heimaufnahme wurde statt Pflegestufe 3 die derzeit gültige Pflegestufe 4 herangezogen.

In Wohnbereichen mit bis zu 30 Personen leben nun Menschen mit mittlerem bis hohem Pflegebedarf, an Demenz Erkrankte mit sehr unterschiedlichem und teils sehr herausforderndem Verhalten, sowie Bettlägerige… sie alle werden vom selben Personal begleitet und gepflegt. Hier entstehen zwangsläufig Spannungsfelder zwischen den BewohnerInnen. Arbeitsabläufe, die diese Ansprüche gar nicht mehr abdecken können, in Heimen, die architektonisch diesen Anforderungen ganz und gar nicht mehr entsprechen, verschärfen die Spannungsfelder noch.

Ausgeglichen werden diese Mängel zu einem Großteil von Fachpersonal, welches zu wenig bis gar nicht diesen neuen Herausforderungen entsprechend ausgebildet ist.

Spätestens hier müssen wir uns die Frage stellen: Was muss geschehen um moderne, adäquate Seniorenarbeit unter diesen Ansprüchen leisten zu können? Welche Anpassung brauchen wir?

Der hohe Anteil an Demenz erkrankten Menschen schreit regelrecht nach kleineren Wohnstrukturen, die für die BewohnerInnen mit einem überschaubaren, gleichbleibenden Personenkreis in kleinen überschaubaren Wohnbereichen soziale und räumliche Orientierung ermöglichen.

 

Soziale Spannungsfelder zwischen pflegebedürftigen und an Demenz Erkrankten Menschen schaffen in allen Senioreneinrichtungen große Spannungsfelder und stellen eine große Herausforderung dar.

 

Die Anpassung des Lebensraumes an die Bedürfnisse der jeweiligen BewohnerInnen und an deren „Lebenswelten“ bzw. Lebenssituationen schafft eine bessere Alltagsverträglichkeit sowohl für BewohnerInnen als auch für das Fachpersonal.

Wie können solche „Lebenswelten“ aussehen?

Lebenswelt WOHNEN: Menschen, die über ihre alltäglichen Anliegen noch selbst entscheiden können und wollen, leben in einer Hausgemeinschaft mit insgesamt 12 BewohnerInnen. Im Alltag bieten Frühstück, Mittagessen, Kaffeejause, Abendessen eine zeitliche Orientierung. Gemeinsame Aktivitäten wie Mithilfe bei Alltagsarbeiten, Plaudern, Besuche, Zeitunglesen, … gewährleisten die Lebens- und Wohnqualität. Die notwendige Pflege passiert professionell und im Hintergrund.

 

Lebenswelt DEMENZ: Da nun die dementiell erkrankten BewohnerInnen unter sich leben, werden Spannungen mit Personen, die in der Lebenswelt „Wohnen“ untergebracht sind, vermieden. Dies führt vor allem für die Gruppe der demenzerkrankten BewohnerInnen zu weniger Anfeindungen und zu mehr Lebensqualität. Hier kann auch nochmals differenziert werden: Personen mit starkem Bewegungsdrang sollten in Gartennähe in ihrer Lebenswelt leben. Personen mit anderen speziellen Ausprägungen von Demenz sollen ihren Bedürfnissen entsprechend eine Lebenswelt vorfinden, die ihnen ein hohes Maß an Lebensqualität ermöglicht.

 

Lebenswelt OASE: Vor allem für bettlägerige oder für palliativ betreute Personen eignet sich eine Pflegeoase hervorragend. Erfahrungen haben gezeigt, dass sich diese Form der Lebenswelt ausgesprochen positiv auf die hier betreuten Personen auswirkt. In einer Pflegeoase liegen jene, die ursprünglich in ihren Einzelzimmern ihre Zeit verbrachten, in großen Räumen beieinander. Dies schafft ein Gefühl der Verbundenheit und Geborgenheit. Basale Angebote innerhalb der Alltagspflege, gezielten Sinnesangebote wie spezielle Musik (Meeresrauschen, Minimalmusik, …), Bilder von Wasserfällen, die an die Decke projiziert werden, eine farbenfrohe Raumgestaltung, … all das schafft Sinnesreize und Abwechslung. Oasen sind Räume der Ruhe, der Entspannung, des Friedens.

 

Wir alle durchwandern verschiedene Lebenswelten: Kindergarten, Schule, Arbeit, Vereine, usw. Lebenswelten ändern sich. Dies passiert auch noch im hohen Alter und somit auch im Seniorenheim. Lasst uns die Herausforderungen angehen!

Seniorenheim, 3-"Welten-Modell
Peter Kumar-Reichenberger

von Peter Kumar-Reichenberger, Projektbegleiter APH St. Teresa

Foto: privat

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