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Mit welchen Themen beschäftigen sich Orden im deutschen Sprachraum im Hinblick auf ihre Zukunft?

Die Gegenwart – Ort und Zeit Gottes für uns

Die gegenwärtigen Veränderungen in den Ordensgemeinschaften mit ihren spürbaren Umbrüchen werden von vielen als Krise beschrieben und wahrgenommen. Die erfahrenen Einbrüche des Ordenslebens und seines Selbstverständnisses bedingen aber nicht notwendigerweise Ohnmacht und Resignation, Rückzug und Depression. Krise ist eine Verdichtung von Wirklichkeits- und Glaubenserfahrungen, ein Ort der Gnade, der zum Kipppunkt auf etwas Neues, vielleicht noch nie Dagewesenes werden kann. Sie fordert zur kritischen Analyse von Tradition und Lebensdeutungen, der persönlich und geschichtlich gelebten Wirklichkeit und zum Blick auf das Entscheidende und Wesentliche heraus. Sie provoziert eine Lebensantwort, die mitten in der Zeit, unter den Menschen ihren erfahrbaren, erkenn- und verstehbaren Ort hat.

Ordensleben hatte diesen Ort immer, wenn es den Menschen, seine Würde und seine Not gesehen und in die Mitte gestellt hat. Die Lebensform selbst hat sich aus diesem Dienst für und an den Menschen entfaltet und gestaltet. Im Blick auf den Menschen und das Engagement für die Menschlichkeit und die gleiche Würde aller wurde lebendig, was Gott für den Menschen ist und will: Sein Menschwerden zur Fülle des Lebens. Im liebenden Handeln ereignet sich der Gott Jesu zwischen den Menschen, wird er je neu Mensch (incarnatio continua) und scheint in der Brechung der Liebenden wie Geliebten als Gott für, mit und unter den Menschen auf.

Da sich der Dienst an den Menschen durch den weitgehenden Einbruch der Werke der Orden radikal verändert hat, braucht es eine neue Suchbewegung der Ordenschristen, den Grund für das Ordensleben in die heutige Welt hinein zu buchstabieren. Diese Suche setzt beim Menschen selbst an, denn der Weg zu Gott ist der Mensch.

Ordensleben ist für die Gegenwart unabdingbar,

  • wenn es den Anruf Gottes im Menschen und in seiner Würde erkennt;
  • wenn es engagiert nach Wegen und Möglichkeiten, – auch mit den kleinsten Mitteln, so hat Ordensleben immer begonnen -, sucht, wie Menschwerden heute gelingend gelebt werden kann;
  •  wenn es dialogisch engagiert nach Lebensantworten sucht, wie das Miteinander der Menschen so gestaltet werden kann, dass die Würde und der Wert des einzelnen bewahrt und in gegenseitigem Respekt miteinander verlebendigt wird;
  • wenn es nicht um sich selbst kreist, – Überleben ist für das Ordensleben weder eine existentielle noch spirituelle Motivation -, sondern Wege des Lebens für und mit den anderen in den Fragmenten seiner eigenen bescheidenen Bedingungen wagt;
  • wenn es den Mut hat, sich selbst als gelebten Weg der eigenen Menschwerdung in den Schwestern und Brüdern zu leben und Abschied von den Formen nimmt, die aus der Tradition heraus Selbstwerden eher verhindern als entfalten, und den Mut zum Wagnis einer Selbstliebe hat, in der sich die Liebe zu Gott und dem Menschen brechen kann;
  • wenn es selbst zur Lebensform wird, an der ahnungsweise abgelesen werden kann, wie Menschsein, erlöstes Dasein, die Ahnung der Fülle des Lebens sich in der Offenheit des Miteinanders in Gemeinschaft entfaltet und gestaltet.

Wegspuren zu diesem Leben sind Ratschläge aus dem Evangelium („evangelische Räte“), die das Ordensleben immer schon als Lebensinspiration und Handlungsmöglichkeiten begleitet haben, aber je neu in die Zeit hinein verlebendigt werden müssen.

  • Gehorsam als eine Kultur des Hörens, was wirklich menschlich ist und dem Menschen in seinem Menschwerden dient. Gehorsam als das Mit- und Aufeinander-Hören, um die Not, das Leiden, die Begrenzungen und die Abgründigkeit menschlichen Seins zu sehen und ihnen lebensförderlich begegnen zu können. Gehorsam als ein sensibles und empathisches „Offen-Bleiben“ für das je neue Hören des Aufscheinens Gottes in der Zeit.
  • Armut als Weg, befreit von den Zwängen der Dinge, unseren Fixierungen und unseren Vorstellungen, auch von Gott, zu leben, um im Prozess des immer mehr Unabhängig-Werdens in einem Leben unterwegs zu sein, das im Miteinander, in der Begegnung erlöst Menschwerden wagt. In Liebe und Freiheit lebt der Mensch dann eine Ahnung der Fülle, versöhnt mit der Schöpfung und sich selbst, in der das Dasein und Heil Gottes für den Menschen auf- und durchscheint.
  • Keuschheit als innere Klarheit und befreite Freiheit (Gal 5,1), authentisch Begegnung zu leben, in kontinuierlich dialogischer Selbstliebe mit Respekt das Leben gemeinsam zu wagen und immer mehr transparent zu werden für die liebende Begegnung Gottes mit dem Menschen. Sie ist die Kunst, lauter und frei zu kommunizieren, die den anderen nicht für bestimmte Absichten dienstbar macht, sondern in der menschlichen Erfahrung den Lebensraum öffnet, in dem sich Gott als ein Gott für die Menschen in der demütigen Liebe des Menschen ereignen kann.

Ordensleben ist so ohne Frage für eine menschlichere Welt unabdingbar, in welcher konkreten Ausgestaltung wird sich zeigen. Orden heute haben sich mit ihren, – wenn auch bescheidenen – Ressourcen der Wirklichkeit des Menschen zu stellen, in der ihnen Gott entgegenkommt. Sie haben den Menschen an seine unverbrüchliche Würde zu erinnern und dafür einzutreten. Denn die Gegenwart ist der Erfahrungsort Gottes, in der sich die Liebe und Freiheit Gottes für den Menschen ereignet. Es gibt keine bessere Zukunft für das Ordensleben als das in den Bruchstücken ihrer gegenwärtigen Möglichkeiten zu wagen.

Georg Beirer (c) privat

Georg Beirer, Dr. theol., Dipl.-Päd. (Univ.), ist Moraltheologe und arbeitet nach psychotherapeutischer Fortbildung freiberuflich in eigener „Praxis für therapeutische Theologie, pastorale Supervision und geistliche Begleitung“. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Begegnung von Mystik, Spiritualität und Psychotherapie und in der Begleitung von Ordensgemeinschaften.

FranziskanerinnenMagazin 2/2024

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