Dialog als franziskanische Grundhaltung
Anfang der 2000er Jahre wurden in Assisi bei der Generalversammlung aller franziskanischen Dritten Orden vier Grundhaltungen entwickelt, die charakteristisch für franziskanisches Leben sind. Sr. Martina und Sr. Angelika waren Teilnehmerinnen an dieser Tagung und haben diese Grundhaltungen mit nach Vöcklabruck gebracht. In der Folge hat sich unsere Gemeinschaft intensiv damit beschäftigt, auch in Kombination mit dem damals neu formulierten Charisma.
Heute steht eine dieser Grundhaltungen im Fokus meiner Überlegungen:
Dialog mit Menschen aus anderen Glaubensrichtungen und Kulturen
In der nicht bestätigten Ordensregel des hl. Franziskus aus dem Jahr 1221 heißt es im 11. Kapitel: … „sie sollen niemanden beschimpfen, sie sollen nicht murren, andere nicht verleumden“ … „Und sie seien bescheiden und sollen allen Menschen jegliche Sanftmut erweisen. Sie sollen nicht richten, nicht verdammen.“
Seien wir ehrlich: In vielen Situationen macht Fremdes Angst, bedroht das Eigene, macht sprachlos und unsicher, engt ein. Das ist eine Erfahrung, die oft laut hinausposaunt wird und dazu führt, dass wir uns abschotten, absichern, den Heimatgedanken oft sehr einseitig auslegen.
Fremde Kulturen im Urlaub? Das ist in Ordnung, das ist ein Erleben von Exotik und Abenteuer. Fremde Kulturen in Österreich? Das ist nicht in Ordnung, die sollen sich angleichen an uns.
Meine Erfahrung ist: Fremdes öffnet den Horizont für Neues, macht neugierig, lehrt uns herauszugehen aus uns selbst auf den/die andere/n zu. Wenn das geschieht, folgt oft Erstaunen und Freude über das neu Entdeckte. So tendiere ich dazu, auf das Fremde zuzugehen und in Dialog zu treten. Zugegeben, das ist manchmal nicht einfach, besonders, wenn Sprachbarrieren bestehen. Aber es gibt auch einen Dialog ohne Sprache. Ein freundlicher Blick, ein Lächeln, eine ausgestreckte Hand überwinden Sprachschwierigkeiten ohne Mühe!
Franziskus war einer, der den Fremden, in der Person des Sultans aufgesucht hat. Wir wissen nicht, ob er Angst vor dieser Begegnung hatte, wir wissen aber, dass ihm mit jeder Faser seines Herzens daran gelegen war, diesen Fremden zu treffen, um mit ihm in einen Dialog zu treten. Geschehen ist das im Jahr 1219 mitten in den Wirren des 5. Kreuzzugs. Franziskus hegte trotz der in Europa verbreiteten negativen Stimmung gegen die Muslime keine Vorbehalte gegen den vermeintlichen Feind, sondern versuchte im Gespräch mit dem Sultan, den Kreuzzug zu beenden und Frieden zu stiften. Dies ist ihm zwar nicht gelungen, die Begegnung ist aber ein frühes Beispiel des Kulturdialogs, in dem Respekt und der Wille zum Frieden im Vordergrund standen.
In den Sandalen des Franziskus gehen hieße dann für uns, dass wir uns so tief in unserem Glauben, in unserer Hoffnung, in unserer Liebe verwurzeln, dass wir uns nicht mit Angst, sondern mit Freude und Interesse dem Fremden zuwenden können und in Dialog treten – mit dem Interesse, voneinander zu lernen.
Ich lebe seit einigen Jahren in unserem Ausbildungskonvent mit Frauen aus afrikanischen Ländern zusammen. Unser Zusammenleben ist nicht friktionsfrei oder ohne Missverständnisse, kulturelle Unterschiede sind oft deutlich spürbar. Aber ich liebe dieses Zusammenleben, weil es so spannend und interessant ist, weil ich die Erfahrung mache, dass wir voneinander so viel lernen. Für dieses bunte Leben bin ich dankbar!