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Gedanken zum Fest des Hl. Franziskus

Zum Fest des Heiligen Franziskus – unserem Ordensfesttag – möchte ich euch einige Gedanken zu der Legende „Der Wolf von Gubbio“ schreiben. Mich haben die Gedanken aus dieser Legende in den letzten Wochen und Monaten beschäftigt und auch nachdenklich gemacht. Vielleicht auch deshalb, weil wir in der letzten Zeit sehr viele Herausforderungen zu bewältigen hatten und noch immer haben, die, so wie ich glaube, auch zu Spannungen, Entzweiungen, Enttäuschungen oder sogar zu Brüchen und Spaltungen im gesellschaftlichen, politischen und auch gemeinschaftlichen Leben führen können. Schauen wir also, was diese Legende für uns – als franziskanische Gemeinschaft – bedeuten könnte.

 

Eines wissen wir ganz sicher, für Franziskus waren Frieden, Versöhnung, wertschätzende Beziehungen auf Augenhöhe und die Achtung aller Religionen und Kulturen, sowie der Schöpfung zentrale Anliegen in einer doch von Gewalt geprägten Gesellschaft. Ich denke, dass sich genau diese Wesenszüge franziskanischer Gewaltlosigkeit und Friedensarbeit in der Legende vom Wolf von Gubbio zeigen.

 

Hören wir nun diese uns so bekannte Geschichte aus den „Fioretti“, die im späten 14. Jahrhundert gesammelt und aufgezeichnet wurden:

 

Es geschah etwas Seltsames, etwas Wunderbares, was des Andenkens würdig ist, bei der Stadt Gubbio. Da gab es nämlich zu Lebzeiten des seligen Vaters Franz in der Umgebung der Stadt einen Wolf von schrecklicher Größe. In seinem Hunger war er von grimmiger Wildheit und verschlang nicht nur Tiere, sondern auch Männer und Frauen, so dass sich niemand mehr getraute, unbewaffnet die Stadtmauern zu verlassen. Eine solche Panik hatte alle befallen, dass sich trotz der Waffen kaum einer sicher fühlte, wenn er aus der Stadt hinaus gehen musste.

 

Der selige Franz, der gerade nach Gubbio kam, empfand Mitleid mit den Leuten und beschloss, dem Wolf entgegenzutreten. Die Bürger sprachen zu ihm: „Hüte dich, Bruder Franz, über das Stadttor hinauszugehen. Der Wolf, der schon viele gefressen hat, wird dich jämmerlich töten.” Der heilige Franz aber setzte seine Hoffnung auf den Herrn Jesus Christus und so schritt er nicht mit Schild und Helm gewappnet, sondern unter dem Schutze des heiligen Kreuzzeichens, mit einem Gefährten vor das Stadttor und ging ohne Furcht dem Wolf entgegen.

 

Und siehe, angesichts der vielen Menschen, die von erhöhten Orten aus zuschauten, rannte der schreckliche Wolf mit offenem Rachen auf den heiligen Franz und seinen Gefährten zu. Der selige Vater aber machte über diesen das Zeichen des Kreuzes, und die göttliche Kraft, die von ihm wie von dem Gefährten ausging, zähmte den Wolf: Er hielt plötzlich inne und der schaurig aufgesperrte Rachen schloss sich. Franz rief ihn her und sprach: „Komm zu mir, Bruder Wolf! Im Namen Christi befehle ich dir, weder mir noch sonst jemandem einen Harm zu tun!” Und wunderbar, auf das Kreuzzeichen hin schloss das Untier den wilden Rachen, und wie der Heilige ihm geboten, kam es gesenkten Kopfes heran und legte sich gleich einem Lamm zu seinen Füßen.

 

Wie er so vor ihm dalag, sprach der heilige Franz: „Bruder Wolf, du richtest viel Schaden in dieser Gegend an und hast schlimme Übeltaten verbrochen, da du Gottes Geschöpfe erbarmungslos umgebracht hast. Und nicht nur Tiere tötest du, sondern, was noch schlimmer ist, du wagst es, Menschen, die nach Gottes Bilde geschaffen, umzubringen und zu verschlingen! Darum verdienst du, dass man dich als Räuber und bösen Mörder einem schrecklichen Tod überliefert. Alle klagen mit Recht über dich und sind dir böse, und die ganze Gegend ist dir feind. Aber jetzt, Bruder Wolf, will ich zwischen dir und den Leuten Frieden stiften. Es darf keinem mehr ein Leid von dir geschehen, und sie sollen dir alle vergangenen Missetaten erlassen, und weder Menschen noch Hunde sollen dich weiter verfolgen.”

 

Da gab der Wolf zu erkennen, dass er auf den Vorschlag einging, worauf der Heilige mit seiner Rede fortfuhr: „Weil du damit einverstanden bist, diesen Frieden zu schließen, verspreche ich dir: Ich will dir, solange du lebst, durch die Leute dieser Gegend deine tägliche Kost verschaffen. Du wirst keinen Hunger mehr leiden müssen; denn ich weiß sehr wohl, du tust alles Schlimme nur vom Hunger getrieben. Aber du musst mir versprechen, dass du nie wieder einem Tier oder Menschen ein Leid zufügst. Versprichst du das?” Der Wolf gab durch Kopfnicken deutlich zu erkennen, dass er einverstanden sei, und legte dem heiligen Franz zum Zeichen seiner Treue seine Tatze in die Hand.

 

Zuletzt sprach der Heilige: „Bruder Wolf, nun komm ohne Bangen mit mir zu den Häusern der Menschen, damit wir im Namen des Herrn diesen Frieden besiegeln!” Und der Wolf gehorchte und folgte dem heiligen Franz gleich einem sanften Lamme. Wie das die Leute sahen, waren sie aufs Höchste verwundert und liefen alle, Männer und Frauen, Groß und Klein auf dem Marktplatz zusammen, wo sich der Heilige mit dem Wolf befand. Vor der Menge des Volkes sagte der heilige Franz: „Höret denn, meine Lieben, dieser Bruder Wolf, der vor euch steht, hat mir versprochen, dass er Frieden mit euch schließen will. Niemandem von euch wird er ein Leides tun, sofern ihr ihm versprecht, für seinen täglichen Unterhalt aufzukommen. Ich verbürge mich für Bruder Wolf, dass er den Friedensvertrag getreulich achten wird.”

 

Da versprachen alle Versammelten mit lautem Zuruf, sie wollten fortan den Wolf ernähren. Und der Wolf lebte noch einige Jahre und ließ sich von Tür zu Tür die Nahrung geben, ohne jemand ein Leid zu tun; und auch die Leute taten ihm nichts und fütterten ihn freundlich. Und sonderbar, nie bellte ein Hund gegen ihn. – Zu Lob und Ehren des Herrn Jesus Christus.

 

Klingt das nicht fast ein wenig komisch und seltsam, wenn wir diese Gedanken hören? Denn obwohl Franziskus von dem Konflikt nicht persönlich betroffen war, nimmt er ihn wahr und ernst und er empfindet sogar Mitleid mit den Menschen. Sicher hätte er in dieser Situation auch ganz anders reagieren und handeln können, etwa davongehen, ignorieren, lange über Maßnahmen nachdenken und noch vieles mehr. Aber nein, Franziskus übernimmt Verantwortung und hilft. Er geht dem Wolf mit einem Gefährten entgegen, er jammert nicht und redet nicht lange herum, sondern tut, was getan werden kann. Dieser Schritt war sicher nicht leicht für ihn, verlangte Mut und Vertrauen und er musste sicher auch in Kauf nehmen, dass er verlieren könnte. Franziskus aber geht ihn trotzdem, er ist bereit, für seine Ideale einzustehen.

 

Kennen nicht auch wir alle solche oder ähnliche Situationen in unserem alltäglichen Leben? Wenn wir sehen, dass Unrecht geschieht, wenn Unfrieden und Machtgefühle sich breit machen, oder wenn Situationen gefährlich werden, wenn der Eindruck oder Verdacht entsteht, „gefressen“ zu werden, wenn über Mitschwestern negativ geredet, oder Negatives über die Gemeinschaft verbreitet wird oder Handlungen sogar ignoriert, nicht beachtet und kleingeredet werden. Wir kennen sie die Zeitfresser, diese Kraftzehrer – Nörgeleien, Vorwürfe, Vermutungen, Aggressionen… Oft würden wir da auch lieber weggehen und uns davonmachen.

 

Es ist aber oft wichtiger und wertvoller, Verantwortung zu übernehmen und so wie Franziskus – er ist uns hier Vorbild – zu bleiben, uns einzusetzen und auch auseinanderzusetzen, ins Gespräch zu kommen und schließlich zu versuchen, uns mit solchen Situationen ein Stück weit zu versöhnen. Denn eines wissen wir: Jeder Mensch, jedes Wesen, jede Mitschwester sehnt sich im Grunde danach, angenommen, geliebt und beachtet zu werden und zu einer Gemeinschaft zu gehören. Wir brauchen sie diese herzlichen, liebevollen Begegnungen, die uns leben, aufleben lassen und die uns zu mehr Leben führen, um immer mehr Zeuginnen und Freundinnen des Lebens und der Liebe und Güte Gottes zu sein.

 

Allzu oft sind unsere Vermutungen nur eine Projektion unserer eigenen Gefühle und Stimmungen. Die Legende vom Wolf von Gubbio zeigt uns sehr deutlich, dass die wirkliche Lösung eines Problems nur durch Liebe und Vergebung möglich ist. Franziskus weiß sich in Gottes Hand und er vertraut auf das Evangelium. Aus dieser Kraft heraus konnte er den Wolf konfrontieren mit allem, was er angerichtet hat, und er beschönigt dabei gar nichts. Er bringt alles zur Sprache, dadurch kann der Weg von Umkehr und Versöhnung gelingen. Es gelingt nur, weil offen, ehrlich und mit einem aufrichtigen Herzen miteinander gesprochen wird und Franziskus wehrlos und arglos zuhören kann. Keine Hintergedanken und Vermutungen stecken dahinter. So entsteht ein Freiraum, eine Möglichkeit über das eigene Verhalten nachzudenken und den Wolf mit seinen Bedürfnissen und Motiven zu verstehen. Weil Franziskus den Wolf nicht mehr als „das Böse, das Problem, den Konflikt“, sondern als Gegenüber wahrnimmt, ist eine Lösung möglich.

 

Nicht immer fällt eine Lösung so leicht, das wissen wir alle nur zu gut. Gerade in Gemeinschaften, in der Politik, in Beziehungen, im kirchlichen Bereich, in Interessensgruppen braucht es Zeit, um eine wirklich gerechte und zufriedenstellende Regelung für alle zu ermöglichen. Franziskus setzt hier ein Zeichen, er möchte auch andere dazu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen.

 

Franziskanische Friedensarbeit setzt also Geduld, Vertrauen und persönlichen Einsatz voraus. Am Ende steht nicht der Stolz, etwas Besonderes geleistet zu haben, sondern, dass Bewusstsein, dass Gott es ist, der Versöhnung, Frieden und Gemeinschaft neu möglich macht.

 

Dass diese Legende mehr ist als ein anrührendes Märchen zeigen historisch gesicherte Begebenheiten aus dem Leben des heiligen Franziskus wie z.B. der Besuch beim Sultan, als Franziskus während der Kämpfe im Heiligen Land zu den Arabern ging, sich gefangennehmen ließ und mit dem Sultan sprach. Der Sultan gab Franziskus sogar ein Friedensangebot mit auf den Rückweg, das die Kreuzfahrer allerdings nicht ernst nahmen.

 

Dieser Weg der Gewaltlosigkeit und der Versöhnung bleibt ein Wagnis. Es ist nicht sicher, ob ein Konflikt sofort gelöst werden kann, ob die Gegner unmittelbar auf das Angebot eingehen. Sicher aber ist, dass durch Gewaltanwendung noch nie ein wirklicher Frieden erreicht worden ist.

 

In den Seligpreisungen im Matthäusevangelium bringt Jesus die Situation auf den Punkt: „Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben.” (Mt 5, 7). Hier ist keine Vertröstung auf ein fernes Paradies gemeint, das uns über unsere konkrete Lebensrealität hinwegtrösten soll. Das Reich Gottes, das Jesus verkündigt, hat immer schon seinen Beginn in unserem Leben. Es geht immer auch um Verhaltensweisen, um Haltungen, die für uns hier und jetzt sinnvoll und heilend sind. Letztendes sind es die Friedensstifterinnen und Friedensstifter und ich hoffe wir alle als franziskanische Gemeinschaft, die durch ihren Einsatz, ihren Mut und ihre Demut, die Mutter Erde bewohnbar machen und am Ende „das Land erben”. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Konflikte im privaten Bereich oder um Kriege handelt. In jedem menschlichen Leben gibt es Situationen und Ansatzpunkte, an denen wir uns für Versöhnung einsetzen können. Es zeigt sich, ob wir der Botschaft des Evangeliums wirklich glauben, ob wir unser Handeln und unsere Lebensentscheidungen der Orientierung und dem Vorbild Jesu Christi anvertrauen. Im Matthäusevangelium sagt Jesus: „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden.” (Mt 5, 9)

 

Ich hoffe und wünsche uns, dass in unseren Gemeinschaften, in unseren Einrichtungen und Werken dieser franziskanische Geist weht und wirkt, damit Kinder, Frauen und Männer immer mehr im Geist des heiligen Franziskus leben und wirken – und so glücklich, froh, dankbar und zufrieden ein Leben in Liebe und Geborgenheit bei uns finden. Ich wünsche uns allen einen gesegneten Franziskustag, Freude, Hoffnung, Mut und immer wieder Gedanken des Friedens und der Versöhnung!

Pace e bene!

Sr. Angelika Garstenauer

Generaloberin

 

Sr. Angelika Garstenauer

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