„Hey, Anna – lebe jetzt!“
„Krankenhausseelsorge bedeutet Dasein und Zuhören, Begleiten in der Situation, in der die Menschen jetzt gerade sind“, sagt Anna Grabner. Als Leiterin der Krankenhausseelsorge am Standort Grieskirchen des Klinikums Wels-Grieskirchen begegnet sie Menschen oft in Situationen, wo ihnen die eigene Vergänglichkeit bewusst wird. Im Gespräch mit dem FranziskanerinnenMagazin erzählt sie über ihre Arbeit, in der sie immer wieder mit der tiefen Sehnsucht nach innerem Frieden konfrontiert ist.
Frau Dr.in Grabner, was tun Sie als Krankenhausseelsorgerin?
Meine Hauptaufgabe ist es, da zu sein. Ich biete den Patientinnen, Patienten und dem Krankenhauspersonal an, sie ein Stück ihres Lebensweges zu begleiten. Neben den Besuchen auf der Station gehören zu unserer Tätigkeit zum Beispiel auch Kindersegnungen, Andachten oder spirituelle Impulse, die wir von der Kapelle aus in die Zimmer übertragen können, … Und natürlich sind wir da, am Ende des Lebens, ermöglichen den Empfang der Sakramente und begleiten die Angehörigen beim Abschiednehmen. Auf unserer Psychosomatik-Abteilung leite ich die spirituelle Gruppe. Das ist ein freiwilliges Angebot für alle – egal welcher Glaubensrichtung. Auch der spirituelle Aspekt ist für die Heilung wichtig.
Wohnt das Bedürfnis nach Spiritualität jedem Menschen inne?
Davon bin ich überzeugt. Wenn ich in ein Krankenzimmer hineingehe, mich vorstelle und frage: ‚Haben Sie Zeit? Darf ich mich zu Ihnen setzen?‘, habe ich noch nie eine Absage erhalten. Und dann dauert es oft nicht sehr lange, bis wir bei den drängenden Fragen des Lebens ankommen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn meines Lebens? Und wie ist das dann mit der Seele…?
Sie haben oft mit schwer erkrankten Menschen zu tun …
Mir ist immer wichtig, zu schauen, wo die Kraftquellen sind. Denn die hat jeder Mensch, davon bin ich überzeugt. Was hilft in einer schwierigen Situation, bei einer schweren Krankheit? Das kann z.B. eine Freundin sein, die gerade dann anruft, wenn es mir schlecht geht, oder ein Erlebnis in der Natur … oder auch, sich in die Kirche zu setzen und zur Ruhe zu kommen, zu sich selbst. Ich persönlich finde meine innere Ruhe, meinen Frieden, immer wieder in der Kapelle im Klinikum. In Verbindung sein mit Ruach, der Geisteskraft Gottes, das ist für mich eine gute Kraftquelle.
Begegnen Sie oft Menschen, die ihren inneren Frieden verloren haben?
Es geht darum, den inneren Frieden zu suchen und ihn hoffentlich einmal zu finden! Das ist ein langer Weg. Ich arbeite viel mit dem Begriff „Frieden“: Was ist Frieden? Was ist Liebe? Wenn ich beim meditativen Tanzen die Gruppe zum Innehalten auffordere, kommt oft der Satz: „Ja, jetzt ist Frieden…“, oder Wörter wie Dankbarkeit, berührt sein, Geborgenheit… Meist ist es wichtig, den Selbstwert zu stärken …
… Frieden zu schließen, mit dem, was man ist?
Genau. Dazu gibt es einen wunderschönen Tanz zum Lied: „Ich bin, wie ich bin“, von Gila Antara. Alle in der Gruppe tanzen um eine Person herum und bestätigen dieses „Einzigartig-Sein“. Gerne arbeite ich dann mit der Geschichte des eigenen Namens, versuche zu spüren, ob da vielleicht eine biblische Geschichte Platz hat. Dankbar bin ich, wenn es gelingt, mit einer Geschichte ein Angebot machen zu können und zu spüren, dass es eine persönliche Beziehung zu Gott gibt. Oft wird diese dann bei einem Einzelgespräch thematisiert.
Frieden schließen, wenn man mit einer Diagnose und ihren Folgen konfrontiert ist – was ist da Ihr Ansatz?
Wie es schon Kübler-Ross[1] beschrieben hat: Vom Schock bis zur Annahme ist es ein weiter Weg – diesen zu begleiten, kann hilfreich sein. In der Sterbebegleitung geht es um das Mit- Jemandem-Gehen. Wenn man nicht mehr ganz jung ist, macht man sich eher Gedanken darüber, was noch wichtig sein könnte im Leben. Da denkt man dann oft an Frieden: Ist Friede in mir? Was muss ich mit meinen engsten Angehörigen besprechen? Was möchte ich jemanden wissen lassen? Habe ich Frieden mit Gott?
Wenn ich an den Tod denke, fällt mir sofort ein: Ich bin noch nicht bereit, ich möchte mich noch nicht trennen von den Menschen, die mir wichtig sind, …
… ja, verständlich, das höre ich oft! Br. David Steindl Rast ermutigt dazu, jetzt dankbar anzunehmen, was das Leben mir schenkt. Darum geht es: JETZT Zeit mit den Menschen, die mir wichtig sind zu verbringen. Ich habe einen hochbetagten Herrn begleitet in seiner Trauer. Seine letzten Freunde waren verstorben. Zuerst sagte er: „Das ist unfair, jetzt bin ich allein.“ Jetzt ist er so weit, zu sagen: „Ich bin dankbar für die Zeit, die wir miteinander erlebt haben.“ Mir sagt das: „Hey, Anna, lebe JETZT!“
Was tun, wenn Menschen damit konfrontiert sind, dass sie vieles falsch gemacht haben? Dass sie viel versäumt haben, was jetzt nicht mehr möglich ist?
… dann muss man schauen, was eben jetzt noch möglich ist: Jeder Tag birgt eine neue Chance. In der Kirche haben wir das Sakrament der Vergebung. Man kann jemanden um Vergebung bitten und man kann selbst vergeben und sagen: Was geht jetzt noch?
Ich hatte viel mit Sterbenden zu tun, als ich die Hospiz-Bewegung in Salzburg mit aufgebaut habe und denke gerne an Erlebnisse zurück, wo es am Lebensende noch gelungen ist, zum Beispiel Frieden innerhalb der Familie zu schließen.
Wenn Menschen es geschafft haben, Frieden zu schließen, können sie leichter gehen?
Das sagt man, ja. Ich weiß es nicht. Ich habe Menschen sterben sehen, die gesagt haben: So, jetzt bin ich bereit zu gehen, und dann friedlich eingeschlafen sind. Es gibt aber auch welche, die das nicht sind. Es gibt beim Sterben nichts, was es nicht gibt: Menschen, die sich ein Ziel gesetzt haben und durchhalten, bis sie es erreicht haben, Menschen, die erst sterben können, wenn ihre Liebsten das Zimmer verlassen haben, andere, die unbedingt wollen, dass alle da sind…
Wie helfen Sie Menschen, Frieden zu erlangen?
Bevor ich in ein Zimmer gehe, bitte ich Ruach, dass sie mich als Werkzeug gebraucht, um Gottes frohe Botschaft spürbar werden zu lassen. Und dann kann ich einfach nur da sein. Mit meinen zwei „Herzohren“ zuhören und offen sein, für das, was von meinem Gegenüber kommt.
[1] Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004), schweizerisch-US-amerikanische Psychiaterin, Sterbeforscherin und Autorin, schuf ein weltweit beachtetes Fünf-Phasen-Modell, welches den Umgang sterbenskranker Menschen mit ihrer Situation beschreibt.
Im Fokus: Frieden
Dr.in Anna Grabner, seit 2020 Leiterin der Krankenhaus-Seelsorge im Klinikum Grieskirchen,
ist Theologin, Seelsorgerin, Pädagogin für ganzheitliches Tanzen, Trauerbegleiterin und Meditationsleiterin. Während des Studiums baute sie die Hospiz-Bewegung in Salzburg auf.
Fotos (c) Grabner
oben: Kraftquelle: Kapelle im Klinikum Grieskirchen
unten: Ruach (hebräisch, die Geisteskraft Gottes, abgebildet im Salzburger Dom