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Der böse, böse Wolf!? Franziskus und sein Einsatz für den Frieden

Bei der Stadt Gubbio trieb sich ein großer, wilder Wolf umher. Er fiel auch Menschen an. Die Bewohner*innen lebten in Angst. Niemand ging unbewaffnet vor das Stadttor. Franziskus hatte Mitleid mit den Menschen, und er beschloss, dem Wolf entgegenzutreten. Der Wolf rannte mit offenem Rachen auf Franziskus zu, doch der machte das Kreuzzeichen über ihn. Der Wolf hielt inne, er spürte die Kraft, die von dem Heiligen ausging. Franziskus rief: „Komm zu mir, Bruder Wolf! Im Namen Christi befehle ich dir: Tu niemandem etwas zuleide!“  Der Wolf lief herbei und legte sich Franziskus zu Füßen. Franz versprach dem Wolf, dass ihm die Menschen genug zu essen geben würden, damit er niemanden mehr verletzen müsse. Als Zeichen für sein Einverständnis legte der Wolf seine Tatze in die Hand von Franziskus. Gemeinsam gingen sie in die Stadt. Der Wolf ging nun jeden Tag von Haus zu Haus und die Menschen gaben ihm zu fressen. Mit seiner Sanftmütigkeit erinnerte er sie an den heiligen Franz von Assisi.

aus: Linzer Kirchenzeitung 2004/40, im Original: Fioretti 21

 

In der Begegnung des heiligen Franziskus mit dem Wolf erkennen wir mehrere Schritte, von denen jeder einzelne nötig ist, um den Konflikt zu lösen und Frieden zu schaffen:

 

  1. Wahrnehmen
    Obwohl Franziskus von dem Konflikt nicht persönlich betroffen ist, nimmt er ihn doch wahr. Er empfindet Mitleid mit den Menscheund übernimmt Verantwortung in einer Situation, die er genauso gut hätte ignorieren können.
  2. Hingehen
    Nachdem Franziskus die Situation erkannt hat, beschließt er, dem Wolf entgegenzugehen. Er hält sich also nicht damit auf, zu jammern, zu predigen oder über wünschenswerte Maßnahmen nachzudenken, sondern er tut das, was er in eigener Verantwortung tun kann. Dieser Schritt ist sicher schwierig, weil er sowohl Vertrauen auf Gott als auch Mut verlangt. Dieser Einsatz könnte ihm das Leben kosten!
  3. Begegnung 
    Entgegen allen Erwartungen wird Franziskus vom Wolf nicht zerrissen. Das gewaltlose, aber entschiedene Auftreten des Heiligen hält ihn davon ab. Dieses Verhalten des Wolfes ist nicht so unwahrscheinlich, wie es uns in unseren alltäglichen Konflikten und Verstrickungen oft scheint. Jeder Mensch, jedes Wesen sehnt sich danach, geliebt und anerkannt zu werden und zu einer Gemeinschaft zu gehören. Das absolut Böse, dass wir in anderen vermuten, ist allzu oft eine Projektion unserer eigenen Aggressionen und Hassgefühle. Aber noch einmal: diese Begegnung erfordert Mut. Es gibt auch das Böse, das die Gewaltlosen nicht verschont, das die Möglichkeit zur Umkehr nicht nutzt. Es gibt Situationen, in denen man der Lebensgefahr so oder so nicht ausweichen kann. Franziskus weiß sein Leben in Gottes Hand und gewinnt dadurch die Sicherheit, auf das Evangelium zu vertrauen.
  4. Anklage
    Im Originaltext beginnt Franziskus das Gespräch. Dabei beschönigt er nichts, er konfrontiert den Wolf mit allem, was er angerichtet hat. Ohne Ehrlichkeit, ohne dass alles zur Sprache kommt, kann der Weg von Umkehr und Versöhnung nicht gelingen. Aber weil Franziskus so offensichtlich wehrlos ist, weil er im Wolf von Anfang an den Bruder sieht, braucht sich der Wolf nicht zu verteidigen, er kann zuhören. So gewinnt er den Freiraum, über sein eigenes Verhalten „nachzudenken“.
  5. Verständnis
    Franziskus lässt es seinen Worten nicht an Deutlichkeit fehlen, aber er bleibt nicht bei der Anklage stehen. Er versucht auch, den Wolf mit seinen Bedürfnissen und Motiven zu verstehen. Er erkennt, dass sich der Wolf nicht in der Lage sah, seinen Lebensunterhalt auf friedliche Weise zu erlangen. Um dieses Verständnis aufzubringen, ist es notwendig, auch einmal von den eigenen Interessen abzusehen und die Situation mit den Augen des Gegners zu betrachten. Häufig erkennt man, dass es nicht Bosheit ist, die die Gewalt hervorbringt, sondern eine (wie auch immer verstandene) Notlage.
  6. Lösungsvorschlag
    Weil Franziskus den Wolf nicht mehr als “das Böse”, sondern als Gegenüber mit bestimmten Handlungsmotiven und berechtigten Interessen wahrnimmt, ist es ihm möglich, einen Lösungsvorschlag zu machen. In diesem Fall geht das verhältnismäßig einfach: Der Wolf verspricht, sich friedlich zu verhalten, die Bewohner von Gubbio sagen im Gegenzug eine Versorgung mit Nahrung zu. Nicht immer fällt eine Lösung so leicht. Gerade an den politischen Konflikten unserer Zeit sind oft so viele Parteien und Interessengruppen beteiligt, dass eine wirklich gerechte und zufriedenstellende Regelung für alle nicht möglich ist.
  7. Begleitung
    Franziskus sieht klar, dass er durch sein Gespräch mit dem Wolf Verantwortung auf sich genommen hat. Er garantiert dem Wolf Sicherheit, er begleitet ihn in die Stadt, er kümmert sich persönlich um das Zustandekommen eines Vertrages und er bürgt vor den Einwohnern von Gubbio für die Ehrlichkeit des Wolfes. Franziskanische Friedensarbeit setzt Geduld und persönlichen Einsatz voraus. Am Ende steht nicht der Stolz, etwas Besonderes geleistet zu haben, sondern dass Bewusstsein, dass Gott es ist, der Versöhnung, Frieden und Gemeinschaft möglich macht.

Netzfund ohne Autorenangabe, überarbeitet von Sr. Teresa Hametner

Sr. Teresa Hametner

Von Sr. Teresa Hametner

Franziskus von Assisi und der Wolf von Gubbio – abgebildet auf einer Kachel an einer Hausmauer in Assisi.

Foto (c) Sr. Teresa Hametner

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