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Zu-ver-Sicht – die Gegenwart und die Zukunft anders „sehen“

Was gibt Kraft, Hoffnung, Zuversicht? Vor der Corona-Pandemie fielen die Antworten auf diese Frage anders aus als jetzt. Vorher spielten die äußeren gesellschaftlichen Umstände in den seelsorglichen Gesprächen im Krankenhaus kaum eine Rolle, alles außer der eigenen Erkrankung war ja wie immer. Das gab Halt. Doch plötzlich brach ein Boden ein, der Sicherheit gab. Etwa wenn es um die finanzielle Absicherung ging, um die Sorge um Angehörige, die zur Risikogruppe gehören oder um PatientInnen, die über lange Zeit von niemandem mehr im Krankenhaus besucht werden durften.

Für eine krebskranke Frau waren die Krankenhausaufenthalte belastend, die soziale Nähe fehlte ihr und während der Bestrahlungen war ihr wichtig zu wissen, dass hinter den dicken Betonmauern Menschen waren, die mit ihr sprachen, und sie spürte, dass sie nicht allein war.

Zu-ver-Sicht – hier geht es ums Sehen bzw. die Sicht auf Ereignisse oder Dinge. Wer zuversichtlich ist, blickt anders auf die gegenwärtige Welt – es eröffnet sich ein weiterer Horizont für die Zukunft. Es tun sich andere Perspektiven auf, denn die Zuversicht sprengt den einengenden Tunnelblick und lässt das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels erkennen.

Die Sicht, die wir einnehmen, hat Auswirkungen auf unser Leben. Gerade in Zeiten, die uns deprimieren brauchen wir all diese Fähigkeiten, um nicht ins Gegenteil zu verfallen. Zuversicht ist eine Kraftquelle, die uns auch das Schöne und Positive sehen lässt, ohne dabei das Schwere negieren zu müssen. Denn die Zuversicht ist keine rosarote Brille, die die Realität schönfärbt. Sie nimmt in den Blick, was sonst übersehen wird, aber trotzdem da ist.

7 Bohnen, die den Unterschied machen

In einer Geschichte wird von einer Frau erzählt, deren Leben nicht einfach ist, die aber dennoch immer zuversichtlich und freundlich zu allen Menschen ist. Einmal wird sie gefragt, warum sie nicht verbittert und mit Gott hadernd durch das Leben gehe. Ihr Geheimnis: Am Morgen steckt sie sieben Bohnen in die rechte Schürzentasche und jedes Mal, wenn sie etwas Erfreuliches sieht oder erlebt, wandert eine Bohne von rechts nach links. Am Abend zählt sie die Bohnen der linken Schürzentasche und erinnert sich an die Situationen, für die die Bohnen stehen. Dann ist sie dankbar und kann gar nicht anders, als zufrieden zu sein. Sie kann ihre Lebensumstände nicht ändern, aber sie hat gelernt, die Sichtweise zu ändern. Eben zuversichtlich zu sein, dass es jeden Tag einen Grund zur Freude und zur Dankbarkeit gibt. Von dieser Frau können wir viel lernen, denn sie ist wertschätzend und achtsam, ihr entgehen die kleinen Freuden des Lebens nicht. Für sie ist nichts selbstverständlich und daher wird sie staunen und allem den richtigen Wert beimessen können.

Am Ende wird alles gut ausgegangen sein

Zuversicht lässt sich bis zu einem gewissen Grad lernen. Viele Coachingmethoden arbeiten mit der Kraft der positiven Gedanken oder des Antizipierens, also der Vorstellung, wie etwas am Ende gut ausgegangen sein und mein Leben verändert haben wird.

PatientInnen erwähnen oft die Vorwegnahme eines guten Ergebnisses, etwa vor einer Operation oder was den Genesungsverlauf betrifft. Sie sehen sich wieder Dinge tun, die ihnen Freude bereiten oder wie sie den Alltag meistern. Dazu braucht es Vertrauen.

Die Bibel ist voller Geschichten, in denen Jesus uns zutraut, dass wir diese Zuversicht im Glauben an ihn haben können, wie das Beispiel Petrus zeigt, der während eines Sturmes auf dem See Genezareth Jesus bittet, dass er ihm auf dem Wasser entgegengehen kann. Dies funktioniert so lange, wie er keine Angst hat, dann droht er unterzugehen. Aber Jesus lässt uns nicht untergehen, er hält uns die rettende Hand entgegen (Mt 24, 22-33).

Eine junge Krankenschwester beeindruckte mich, weil sie ohne Furcht die Dienste auch auf der Covidstation macht. Sie weiß, wie wichtig ihre Tätigkeit ist. Dass sie sich anstecken könnte, ist ihr bewusst, aber zu ihrem Berufsethos gehört es, für andere da zu sein. So wie sie sind viele eingestellt. Dass nach so langer Zeit extremer Belastung auch immer wieder die Zuversicht auf eine Besserung der Lage schwindet, versteht sich von selbst. Am Ende hoffen aber alle, dass diese Pandemie in den Griff zu kriegen sein wird. „Wahrscheinlich sind wir dann nicht mehr dieselben, aber wir werden dankbar sein!“, war eine erfahrene Kraft überzeugt.

Hoffnung

„… ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – egal wie es ausgeht“, sagte Vaclav Havel. Hoffnung ist ein anderes Wort für Zuversicht. In Havels Deutung passt die Erfahrung einer Patientin, die keine gute Kindheit hatte und jung mit ihren Kindern als Witwe zurückblieb. Sie musste optimistisch sein, etwas anderes konnte sie sich nicht leisten. Dass all ihr Mühen Sinn ergab, davon war sie immer überzeugt, obwohl sie nicht immer wusste, ob sie finanziell über die Runden kommen und ihre schweren Erkrankungen überstehen würde. Das Singen im Kirchenchor und die Musik waren und sind ihr ebenso Kraftquelle wie das tägliche Gebet: „Ich habe es halt so gelernt.“

Zuversicht eröffnet auch mentale Handlungsspielräume. Den seligen Franz Jägerstätter erfüllte die Überzeugung mit Zuversicht, dass es besser sei, gefesselte Hände zu haben anstatt einen gefesselten Willen. Den Willen kann uns keiner nehmen, auch keine gewaltausübende Macht, als welche auch das Coronavirus erlebt wird. Ein schwer am Codid-19-Virus Erkrankter hatte keine äußeren Handlungsspielräume, war hilflos und auf das Wohlwollen und die Fürsorge anderer angewiesen. Oft war er der Verzweiflung nahe, wusste nicht, ob das Leben überhaupt noch einen Sinn hätte. Mit Zuversicht erfüllten ihn Erinnerungen an sein erfülltes Leben, vor allem aber an die Liebe seiner Frau und seiner Familie. Rückwirkend weiß er nicht, woher er die Kraft zum Überleben hatte, verstarben doch Menschen während seines Aufenthalts. „Gott hat noch was mit uns vor“, sagt er, während seine Frau und er Hände halten und sich tief in die Augen schauen.

Mag. Martina Lainer Krankenhausseelsorgerin

Autorin:

Mag. Martina Lainer
Krankenhausseelsorgerin
Aö Krankenhaus St. Josef Braunau

Foto (c) KH Braunau

Das Team der Krankenhausseelsorge Braunau:
Sr. Katharina Franz MAS, Mag. Martina Lainer und Dipl. PASS Gerhard Pichler versuchen in Gesprächen, Gebeten und Feiern Zuversicht als Kraftquellen zu erschließen.

Foto (c) KH Braunau

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