„Aufbruch in den Osten“ – 30 Jahre Franziskanerinnen von Vöcklabruck in Kasachstan


„Kasachstan, wo ist das?“
… das war die erste Frage, die ich mir stellte, als das Anliegen, Schwestern in Kasachstan einzusetzen, im Generalkapitel 1994 zum Thema wurde. Sr. M. Thoma hatte die Anfrage aus der deutschen Provinz anlässlich einer Visitation mitgebracht. Das Kapitel, bei dem ich zur Generaloberin gewählt wurde, sollte dies entscheiden. Ein schwieriger Prozess!
Schließlich einigten wir uns darauf, dass sich die Ordensgemeinschaft dort engagieren würde, falls sich bis zum Franziskustag am 4. Oktober Schwestern freiwillig dazu bereiterklären. Und so kam es, dass aus vier Freiwilligen zwei ausgewählt wurden, Sr. Hedwig und Sr. Vinzentia, die im März 1995 in das uns allen sehr unbekannte Kasachstan aufbrachen. Es war ein stürmischer Wintertag, als sie kasachischen Boden betraten und von P. Lorenz am Flughafen in Empfang genommen und in ein kleines Wohnhaus im Dorf Tonkoschurowka gebracht wurden.
Da kaum Nachrichten nach Österreich kamen, entschloss ich mich dazu, die beiden mutigen Pionierinnen im Dezember 1995 zu besuchen. Dass dies für mich nach einem abenteuerlichen Flug über
Atyrau und Almaty mit dem Ziel Kökschetau zu einer Lebensentscheidung werden sollte, wusste ich noch nicht. Es waren die Begegnungen mit den Schwestern und mit den meist deutschen Dorfbewohnern, den Schulkindern und den Menschen bei den Gottesdiensten, die Einfachheit des Lebens, ja Armut, die an allen Ecken spürbar war, und schließlich das Weihnachtsfest mit den beiden Mitschwestern, das mich zu dem Entschluss brachte: Wenn ich mein Amt als Generaloberin beendet habe und gesund genug bin, möchte ich in dieses Land, zu diesen Menschen kommen und mit ihnen den christlichen Glauben leben.
Anlässlich des ersten Besuchs und aufgrund vieler Gespräche mit Pater Lorenz wurde der Gedanke geboren, hier in Korneewka eine private Schule zu gründen, um vor allem den Kindern vom Land eine gediegene Ausbildung zu ermöglichen. Da die kasachischen Gesetze dies ermöglichten, wurde der Plan 1996 mit der Eröffnung einer „Schule“ in einem Wohnhaus umgesetzt, wobei Schulmaterialien von Tischen bis zur Kreide aus Österreich angeliefert wurden.
Heute umfasst der Schulkomplex ein Gymnasium, die Schule St. Lorenz, einen Kindergarten und ein Internat. Mein Hiersein, das sich 2013 verwirklicht hat, ist ein wichtiger Meilenstein in meinem Leben als Franziskanerin. Noch unterrichte ich Deutsch als „Native Speaker“, bin ein aktives Mitglied in der kleinen, 150 Kilometer im Umkreis verstreuten Pfarre und versorge Haus und Garten. Vertrauen und Dankbarkeit prägen meinen Alltag.
Sr. Kunigunde Fürst
Das Ende der Welt ist keine Gott-verlassene Gegend
Ich erinnere mich noch sehr gut an unseren ersten Abend im Schwesternhaus in Tonkoschurowka: Ziemlich spät waren wir mit einem Fahrer von der Schule in Korneewka aufgebrochen und je länger wir fuhren, umso spärlicher wurden die Lichter und Häuser, bis wir in dem kleinen Dorf mitten in der Steppe ankamen, das unser neues Zuhause werden sollte. Müde und voller Eindrücke der vergangenen Wochen, in denen Sr. Elfriede und ich nahe der Hauptstadt Astana versucht hatten, uns mit der russischen Sprache anzufreunden und einen ersten Eindruck von Land und Leuten zu gewinnen, saßen wir jetzt mitten zwischen den Bananenschachteln, in denen sich unser bescheidener Haushalt befand. Ein Klingeln an der Haustür ließ uns aufschrecken – Gäste hatten wir wirklich noch nicht erwartet. Vor der Tür stand Ludmila, eine Frau aus der Pfarrgemeinde, die uns frisches Brot brachte und eine Rose für jede von uns.
Wenn ich jetzt an meine Zeit in Kasachstan denke, dann waren das Geschenke mit starker Symbolkraft: Brot für das einfache Leben, das wir mit den Menschen teilen und immer wieder neu lernen durften, bei dem wir Menschen unterstützen und gemeinsam neue Perspektiven entwickeln konnten und Rosen für das viele Unerwartete und Wunderschöne zwischen schlammigen Straßen und sommerlicher Mückenplage, mitten in ausweglos scheinenden Familiensituationen und oft drückender materieller Not – und über allem das Vertrauen (und die Erfahrung), dass das Ende der Welt keine Gott-verlassene Gegend ist.
Sr. Johanna Pobitzer
