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Kasachstan – nicht nur eine Reise wert…

Wenn ich aus dem Fenster des Regionalzuges schaue, der uns langsam und ziemlich ruckelig Richtung Norden bringt, sehe ich die unendliche Weite der kasachischen Steppe (Klingt nach Klischee, ich weiß. Ist aber wirklich so.). Hin und wieder entdecke ich noch Schneereste und den Rauch aus den Kaminen der weit verstreuten Häuser in der doch recht einsamen Gegend, durch die wir fahren. Die Hauptstadt Nur Sultan mit ihren vielspurigen Straßen, Prachtbauten, Einkaufszentren und Wohnblöcken haben wir hinter uns gelassen und gut 500 Kilometer Fahrt liegen vor uns. Zwischendurch fallen mir immer wieder die Augen zu, auch wenn die kaum gepolsterten Sitze im Zug nicht wirklich zum Schlafen einladen. Ich bewundere den älteren Herrn neben uns, der kerzengerade und in ein Buch vertieft auf seinem Platz sitzt – nicht nur wegen seiner wunderschönen kasachischen Kopfbedeckung. Auf der Bank neben ihm haben zwei Frauen Platz genommen mit einer riesigen Torte und zwei der typischen karierten Plastiktaschen, in denen hier so ziemlich alles transportiert wird. Ein buntes Gedanken-Karussell dreht sich in meinem Kopf, aus Erinnerungen und Erwartungen, Befürchtungen und Vorfreude und ganz viel Neugier darauf, was in den kommenden fünf Wochen auf mich zukommen wird. Ich bin wieder einmal angekommen, hier in Kasachstan.

Drei Wochen, viele Schalen Tee und eine ganz Reihe interessanter Erlebnisse in Haus, Dorf, Kirche und Schule später finde ich mich mitten in den quirligen Festvorbereitungen zum Jubiläum der Schule St. Lorenz wieder. Die Gäste aus Österreich und Deutschland werden erwartet – unter ihnen Sr. Angelika und Sr. Katharina aus unserer Gemeinschaft und besonders sehnsüchtig Sr. Kunigunde, die nach einem längeren Aufenthalt in der „alten Heimat“ wieder nach Korneewka zurückkommt. Sie ist es auch, die das Engagement unserer Gemeinschaft in diesem Land vom Beginn Mitte der 1990er-Jahre an wesentlich geprägt und mitgestaltet hat. Mit ihrer Unterstützung konnte die Idee der „ersten christlichen Dorfschule“ in Kasachstan konkrete Gestalt gewinnen, auf deren 25+1-jährige Geschichte wir dieses Jahr zurückschauen.

Viel hat sich seither getan und aus dem kleinen Anfang mit einer Hand voll Kinder in einem Holzhäuschen ist ein Schulkomplex geworden, in dem mehr als 200 Mädchen und Burschen vom Kindergarten bis zur Matura begleitet werden. Neben den klassischen Fächern sind es vor allem das breite Angebot an kreativen und sportlichen Pflicht- und Freigegenständen und der (fremd)sprachliche Schwerpunkt, die zu einer ganzheitlichen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen beitragen sollen und das Profil der Schule ausmachen. Seit 2009 ist die Schule St. Lorenz Teil der Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“, die weltweit mehr als 2000 Schulen vernetzt, an denen der Deutschunterricht einen besonders hohen Stellenwert hat. Die Schüler*innen haben die Möglichkeit, das Deutsche Sprachdiplom (DSD) auf verschiedenen Niveaustufen zu erwerben und erhalten somit auch die Chance, an Universitäten und Fachhochschulen im deutschen Sprachraum zu studieren.

 

Was sich durch all die oft turbulenten Jahre hindurch nicht verändert hat, ist das Grundanliegen der Schule: jungen Menschen einen Raum zu bieten, in dem neben einem vielfältigen und fundierten Bildungsangebot die Entfaltung der Persönlichkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Gerade in der postkommunistischen Gesellschaft ist es ein zentrales Anliegen, erfahrbar zu machen, dass jeder einzelne Mensch als Individuum unendlich wertvoll ist und dass persönliches Engagement einen Unterschied macht. Geleitet wird die Schule zurzeit von Generaldirektor P. Leopold Kropfreiter, einem Priester und Mitglied der Gemeinschaft Servi Jesu et Mariae aus dem Waldviertel, und Schulleiterin Ekaterina Dunina, einer Lehrerin aus dem Dorf Korneewka. Seit dem Jahr 2002 gestalten wir Franziskanerinnen von Vöcklabruck– zurzeit Sr. Agnes und Sr. Kunigunde – vor Ort das Schulleben mit – vor allem im Bereich Deutsch als Fremdsprache, aber auch in der Grundausrichtung des Bildungs- und Erziehungskonzepts.

 

Das Geburtstagsfest am 12. Mai 2022 bot eine wunderbare Möglichkeit, in die Welt der Schule St. Lorenz einzutauchen und ein Gespür dafür zu bekommen, was Schüler*innen, Pädagog*innen und Mitarbeiter*innen in den verschiedenen Bereichen wichtig ist und wofür die brennen. Dabei durfte eine Exkursion in das Gebäude für den handwerklichen und künstlerischen Unterricht ebenso wenig fehlen wie ein spannender Einblick in die IT- und Robotertechnik-Projekte der Jugendlichen. Feierlicher Höhepunkt war ein Festakt, bei dem die Glückwunschreden der Gäste mit musikalischen und tänzerischen Einlagen umrahmt wurden und ein Moderator*innen-Team aus zwei Lehrerinnen und zwei Schülern in vier Sprachen durch das Programm führte. Es ist immer wieder faszinierend, dass kulturelle Vielfalt nicht nur auf der Bühne gezeigt, sondern im Alltag mit einer großen Selbstverständlichkeit gelebt wird.

Es sind viele positive Eindrücke, die von diesem Feiertag bleiben – aber er wirft auch Fragen auf. Wie gelingt es, die Kinder und Jugendlichen zu motivieren, die Möglichkeiten und Chancen zu nutzen, die ihnen die Schule bietet? Wie kann die Schule einen Beitrag dazu leisten, dass sie Orientierung finden in einer zunehmend komplexen und herausfordernden Welt? Wie kann die Schule, wie können wir die Menschen in Korneewka dabei unterstützen, ihre Lebensbedingungen zum Besseren zu entwickeln, nicht nur im materiellen Bereich?

 

Bei der langen Heimreise nach dem Festtag ist genug Zeit, darüber nachzudenken und zu diskutieren, im Bus nach Nur Sultan und beim Warten auf den Anschlussflug in Istanbul. Aber es gibt sie wohl nicht, die einfachen Antworten. Was bleibt ist die Freude, sie gemeinsam mit den Menschen im Dorf zu suchen und den einen oder anderen Schritt umzusetzen und darin zu verwirklichen, was wir als Franziskanerinnen von Vöcklabruck leben wollen: mit Christus an der Seite der Menschen zu sein.

Sr. Johanna Pobitzer /c) Zopf

Ein Reisebericht von Sr. Johanna Pobitzer

Mit der Schule St. Lorenz im Norden Kasachstans verbindet die Franziskanerinnen von Vöcklabruck eine lange Geschichte: Sr. Kunigunde Fürst, damals Generaloberin, unterstützt das Projekt seit seiner Gründung im Jahr 1996. Am 12. Mai 2022 feierte die Schule – coronabedingt ein Jahr später als geplant – ihr 25-jähriges Jubiläum. Mit dabei waren aus Österreich Sr. Angelika Garstenauer, Sr. Johanna Pobitzer und Sr. Katharina Franz, sowie die fix in Korneewka stationierten Franzisknerinnen Sr. Agnes Mairhofer, Sr. Kunigunde Fürst und Alois Bernsteiner, der Bruder von Sr. Vinzentia, die gemeinsam mit Sr. Hedwig Köpernik 1993 den Anfang des Engagements der Franziskanerinnen in Kasachstan setzte. Sr. Johanna Pobitzer hat von 2002 bis 2012 in Kasachstan (Tonkoschurowka) gelebt und in der Schule St. Lorenz als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache, Englisch und Ethik gearbeitet.

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Spendenkonto: Verein AUFBRUCH-FRANZiskanerinnen von Vöcklabruck

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